Aus Sicht als Brandschutzdienststelle in NRW stellt sich mir der Umgang mit dem Grundsatzpapier wie folgt dar ( mit der Bitte um Vergebung für den Umfang meines Beitrags?):
Das Papier wurde breit gestreut in den Medien veröffentlicht. In einer Fortbildung für Brandschutzingenieure am IdF in Münster wurde uns dieses Papier sowohl vom Innen- als auch Bauministerium als aktueller Stand der Rechtsauffassung der jeweiligen Ministerien nahegebracht. So entstand der Eindruck, dass die Beurteilung des Brandschutzes bezüglich §14 MBO nach dem Willen unserer Ministerien künftig vor dem Hintergrund der Aussagen des Grundsatzpapiers erfolgen soll.
Wenn also zwei hochgestellte Amtsträger aus den Bereichen Bauaufsicht und der Berufsfeuerwehren ein solches Papier verfassen, das den Eindruck vermittelt, es sei innerhalb der Bauaufsichten und der Feuerwehren entsprechend abgestimmt, und die zuständigen Landesministerien klarmachen, dass sie dahinter stehen, müssen die Brandschutzdienststellen und Feuerwehren wohl davon ausgehen, dass hier ein politischer Wille zum Ausdruck kommt, an dem man -unabhängig von der eigenen Haltung zu dem Papier- nicht ohne Weiteres vorbeikommt.
Die ersten Praxiserfahrungen im Umgang mit dem Papier zeigen jedoch, dass in den ersten Monaten das Ziel des Papiers- nämlich Klärung und Deutung nicht ausreichend bestimmter Begriffe der MBO bzw. LBO- zumindest in meinem Arbeitsalltag nicht erreicht werden konnte. Das zeigen auch die inzwischen veröffentlichten kritischen Leserbriefe und Stellungnahmen in den entsprechenden Medien.
Dass die Vertreter der (zu?) starken Entrauchungslobby sich gegen das Papier wenden würden, war aus meiner Sicht keine Überraschung.
Dass aber eine einheitliche Sichtweise der Feuerwehren wohl nicht zu bestehen scheint, überrascht schon eher.
Im Folgenden ein paar konkrete Anmerkungen zu den Inhalten:
Die im Papier dargelegten Grundsätze beziehen sich "nur auf solche Gebäude, die die bauordnungsrechtlichen Anforderungen einhalten, also keine Abweichungen in Anspruch nehmen."
An dieser Stelle müsste man m.E. gar nicht mehr weiterlesen, denn für solche Gebäude besteht regelmäßig kein Dissenz hinsichtlich der in den Bauordnungen formulierten Anforderungen.
Die Fragen kommen erst dann regelmäßig auf den Tisch, wenn es um schutzzielorientierte Brandschutzkonzepte geht, die naturgemäß einiges an Abweichungen von der LBO bzw. den Sonderbauverordnungen zu bieten haben.
Für diese Fälle ist m.E. eine Eingrenzung der Interpretationsbandbreite der Begriffe wie "Rettung von Menschen UND TIEREN (die fällt im Regelfall ganz unter den Tisch) und wirksame Löscharbeiten" aus der MBO/LBO tatsächlich dringend geboten.
zu I-2 des Papiers: Rettung von Menschen in Sonderbauten
Die Sichtweise, dass die Feuerwehr für den Regelfall im Brandfall nicht mit Menschenrettung befasst sein soll und das Gebäude/der Brandabschnitt bei Eintreffen der Feuerwehr im Regelfall bereits geräumt sein soll, verlagert einen erheblichen Teil der Verantwortung für die Personenrettung auf den organisatorischen und anlagentechnischen Brandschutz.
Diese Sichtweise liegt quasi im Trend, Verantwortung weg von den Behörden hin zu den Fachplaner/Sachverständigen/Betreibern zu verlagern. Aus Sicht der vielen Freiwilligen Feuerwehren unseres Kreises ist eine solche Betrachtung sehr zu begrüßen, sind sie doch bislang oft Teil der Evakuierungsplanungen z.B. in Pflegeheimen. Eigentlich können sie diese Aufgabe nicht in dem dazu erforderlichen Umfang leisten.
Wir haben bereits für die ersten Pflegeeinrichtungen Auflagen formuliert, die erforderliche Evakuierungsplanung ohne Beteiligung der örtlichen Feuerwehr nachzuweisen. In diesem Zusammenhang wird das Problem ersichtlich, dass für eine geeignete Evakuierung mindestens 3 Pflegekräfte erforderlich sind (insbesondere nachts), häufig aber nur mit 1-2 Pflegekräften geplant werden kann, weil sonst die Wirtschaftlichkeit des Betriebes in Frage steht. Ob also die aus meiner Sicht nachvollziehbare und begrüßenswerte Anforderung der Evakuierung eines Gebäudes ohne Mithilfe der Feuerwehr für den Regelfall in allen Sonderbauten umsetzbar sein wird, muss die Zukunft erst zeigen.
zu I-3-7: Schlussfolgerungen zur Rauchableitung
Ich erinnere mich, dass in meinen VB-Anfängen die Entrauchung noch als ein wesentliches Element der Sicherung von Rettungswegen betrachtet wurde. Im Laufe der Jahre veränderte sich die Betrachtungsweise dahingehend, dass die Entrauchung zur Sicherung von Rettungswegen immer weiter in den Hintergrund gedrängt wurde.
Im Baurecht kam das z.B. in der IndBauRl zum Ausdruck: die Entrauchung wird nunmehr lediglich als Maßnahme hinsichtlich der verbesserten Brandbekämpfungsmöglichkeit durch die Feuerwehr für erforderlich gehalten.
Inzwischen wird diese Sichtweise z.T. von den Sachverständigen oder Bauaufsichten auch auf andere Gebäudetypen übertragen.
Das Grundsatzpapier erweckt nun den Eindruck, dass Maßnahmen zur Rauchableitung grundsätzlich keinen Beitrag für eine schnelle Evakuierung leisten können, sondern dies lediglich über eine Rauchfreihaltung geschehen kann.
Andererseits wird zugestanden, dass im Einzelfall die Rauchableitung ein geeignetes Mittel zur Kompensation von Abweichungen sein kann. Für mich widersprechen sich diese Aussagen.
Entweder kann eine geeignete Rauchableitung auch zur Sicherung von Rettungswegen anerkannt werden (wie in diversen Sonderbauverordnungen gefordert, z.B. für Foyers (SchulBauRl) oder Ladenstraßen (VkVO)), oder sie ist grundsätzlich für diesen Zweck auszuschließen.
Eine Klärung hinsichtlich der Wirksamkeit von Rauchableitung wird aus meiner Sicht in diesem Papier leider nicht erreicht, sondert wirft eher neue Fragen auf.
zu II: wirksame Löscharbeiten
Die Aussage des Papiers, dass Löschmaßnahmen auch dann als wirksam betrachtet werden, wenn der Brand z.B. erst an einer Brandwand gestoppt wird, suggeriert unterschwellig, dass es auf bauliche oder anlagentechnische brandschutztechnische Maßnahmen innerhalb von Brandabschnitten nicht so sehr ankomme, weil der Gebäudeverlust von vornherein akzeptiert wird.
Diese Betrachtung im Grundsatzpapier scheint zu korrespondieren mit der Grundhaltung unseres Bau- und Innenministeriums: Discounter&Co z.B. dürfen grundsätzlich abbrennen (weil bei einem Brand immer ein Totalschaden aller im Gebäude befindlichen Werte anzunehmen sei). ?Wirksame Löscharbeiten? bedeuten lediglich, dass die Feuerwehr hinfahren kann und Löschwasser zur Verfügung hat.
Bereits im Vorfeld in Kauf zu nehmen, dass ggf. der Brandabschnitt/das Gebäude verloren ist, mag aus baurechtlicher als auch versicherungstechnischer Sicht ausschließlich wirtschaftlichen Abwägungen unterworfen werden: das entspricht aber nicht den Aufgaben und Ansprüchen der Feuerwehren hinsichtlich des Sachschutzes- oder inzwischen doch?
Ausgehen wird jedes Feuer auch ohne Feuerwehr.
Unter II-4 des Grundsatzpapiers wird m.E. aber deutlich, dass die Aussage bezüglich des geplanten Brandabschnittsverlusts so nicht gemeint war. Es k a n n lediglich dazu kommen, dass sich der Brand auf den gesamten Brandabschnitt ausbreitet; die Feuerwehr wird alles im Rahmen ihrer Möglichkeiten Erdenkliche tun, den Schaden zu minimieren- unabhängig von versicherungstechnischen oder baurechtlichen Rahmenbedingungen. Ich kann mir keine Feuerwehr vorstellen, die mutwillig einen ganzen Brandabschnitt aufgeben würde.
Insgesamt betrachte ich den Inhalt des Grundsatzpapiers der Fachkommission Bauaufsicht als einen wichtigen Beitrag, der den Finger in die Wunden der heutigen Entwicklung des Baurechts legt. Es trägt bereits jetzt zu einer breiten lebhaften Diskussion bei, die wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des Baurechts und der Feuerwehrtaktik nehmen kann.
Den Anspruch, nun der Weisheit letzter Schluss hinsichtlich der Auslegung des §14 MBO zu sein, kann es aber aus meiner Sicht (noch) nicht erfüllen. Deshalb muss man es aber nicht, wie in diversen Leserbriefen zum Ausdruck gebracht, vom Tisch wischen.
Eine Fortschreibung des Papiers mit Klärung diverser Irritationspunkte auch aus anderen Stellungnahmen (hoffentlich auch mit einem breiten Konsens der Feuerwehren) kann sicherlich eine wichtige Hilfe auf dem Weg zu einem definierten Interpretationsrahmen des §14 MBO werden.
Die Notwendigkeit, ausufernde Blüten der Interpretation in für alle am Bau Beteiligten vertretbare Bahnen zu lenken, ist für mich unbestritten; Und damit ist der Versuch, dieses Thema seitens verantwortlicher Stellen in Angriff zu nehmen, auf jeden Fall zu begrüßen.
Hier noch eine persönliche Anmerkung:
Der Mensch ist innerlich so gebaut, dass er sich nicht gerne etwas aufoktroyieren lässt. Es wäre daher vielleicht geschickter gewesen, das Papier einem breiteren Publikum zur Diskussion zu stellen, um damit den Konsens und die Akzeptanz auf stärkere Füße zu stellen.
Matthias Bußmann